Ford Italia: neben dem tatsächlichen Hersteller kann auch der Auto-Händler als Anscheinshersteller/Quasihersteller zur Haftung herangezogen werden!

EuGH-Urteil (Europäischer Gerichtshof) vom 19.12.2024, Rechtssache C-157/23

Sachverhalt:

Ein Konsument kaufte in Italien ein Auto der Marke Ford von der italienischen Vertragshändlerin Stracciari. Hergestellt wurde es von Ford WAG in Deutschland, geliefert über Ford Italia. Die Ford WAG und Ford Italia gehören zur selben Unternehmensgruppe.

Nach einem Unfall im Dezember 2001, bei dem der Airbag versagte, klagte der Konsument den Vertragshändler Stracciari und Ford Italia auf Schadensersatz. Ford Italia bestritt die gegen sie geltend gemachten Schadenersatzansprüche mit der Argumentation, dass es das Fahrzeug nicht hergestellt hatte und verwies, weil es selbst nur Händler/Lieferant war, auf die Ford WAG in Deutschland als eigentliche Produzentin.

Frage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH):

Das italienische Kassationsgericht legte dem EuGH sinngemäß folgende Frage vor:

  • ist die Herstellerhaftung nach der Produkthaftungs-Richtlinie 85/374/EWG (PH-RL) gemäß Art 3 Abs 1 auf den Fall beschränkt, dass der Lieferant seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen physisch auf dem Produkt anbringen muss, um eine Verwechslung zwischen seiner Identität und derjenigen des Herstellers herbeizuführen;
  • oder reicht es für die Haftung des Lieferanten als Anscheinshersteller schon aus, wenn er seinen Namen oder sein Warenzeichen eben nicht physisch auf dem Produkt angebracht hat, er sich aber dennoch im Sinne des Art 3 Abs 1 PH-RL „als Hersteller ausgibt“, indem er eben dieses von einem anderen auf dem Auto angebrachte Erkennungszeichen in seiner Firmenbezeichnung (= Firma) verwendet, womit eine Namensgleichheit mit dem tatsächlichen Hersteller besteht.

Entscheidung des EuGH:

Ein Unternehmen, das ein Produkt nicht selbst herstellt, sondern dieses nur vertreibt, kann trotzdem als „Hersteller“ im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie (85/374/EWG) gelten. Das ist der Fall, wenn es seinen Namen, sein Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt und sich folglich als Hersteller ausgibt. Dies kann laut EuGH beim Verbraucher den Eindruck erwecken, dass das Unternehmen für die Qualität und Sicherheit des Produkts verantwortlich ist.

Der EuGH betont aber, dass es für die Haftung gar nicht darauf ankommt, ob der Händler das Zeichen selbst anbringt. Dies hat der Vertragshändler im konkreten Fall auch gar nicht getan. Allerdings hat der Vertragshändler das entsprechende Erkennungszeichen in seiner eigenen Firmenbezeichnung (= Firma) verwendet. Entscheidend ist daher laut EuGH, ob der Lieferant/Händler durch diese Namensübereinstimmung das Vertrauen der Verbraucher nutzt und so als verantwortlicher Hersteller wahrgenommen wird.

Der Vertragshändler haftet solidarisch/gesamtschuldnerisch mit dem tatsächlichen Hersteller. Das bedeutet, dass Verbraucher entweder den Hersteller oder den Händler direkt in Anspruch nehmen können. Der Händler hat jedoch das Recht, sich den entstandenen Schaden vom tatsächlichen Hersteller im Zuge des Regress zurückzuholen.

Anmerkung:

Der EuGH betont den Verbraucherschutz. Dies Argumentation ist meiner Meinung nach überspannt:

  • Laut EuGH soll der Verbraucher nicht mit der komplexen Aufgabe belastet werden sollen, den tatsächlichen Hersteller eines fehlerhaften Produkts zu ermitteln.
  • Ein Unternehmen, das ein Produkt vertreibt und dabei seinen Namen oder sein Markenzeichen nutzt, erzeugt beim Verbraucher Vertrauen. Dieses Vertrauen soll durch die Haftung des Vertragshändlers geschützt werden – unabhängig davon, ob das Unternehmen aktiv sein Zeichen auf dem Produkt aufgebracht hat oder nicht.
  • Damit steigt das Haftungsrisiko für Vertragshändler, weil sie gegen eine derartiges Risiko entsprechende Versicherungsdeckung einholen müssen. Vertragshändler können in der geschilderten Konstellation völlig unerwartet hohen Schadenersatzforderungen nach der verschuldensunabhängigen Produkthaftung ausgesetzt sein.

Guter Rat ist gar nicht teuer:

  • wichtig ist, dass derartige Fälle bei der Erstellung und Formulierung von Vertriebsverträgen mit Automobilherstellern rechtlich geklärt werden und der EuGH-Entscheidung Rechnung getragen wird.
  • Zudem sollten Vertragshändler die Verwendung von Warenbezeichnungen in ihrer Firmenbezeichnung und/oder in den eigenen Unternehmensauftritt überdenken!

Please follow and like us:

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert